Der Gottesdienst ist das Herz des kirchlichen Lebens. Er vereint spirituelle Praktiken der evangelischen Tradition und gibt dir Raum, Erfahrungen zu machen.
Stille
Die Stille ist immer da. Bevor die Glocken läuten. Stille im Raum. Stillwerden und Spüren. Du auf dem Platz im Kirchenraum, neben anderen. Stille ist da im Zwischenraum. Die Eingangsmusik hat geendet. Die Liturgin geht zum Altar und wendet sich zu den versammelten Menschen. Sie geht. Es ist still. Und dann immer wieder. Zwischen allen Worten stellt sich ein Lauschen ein.
„Lausche hindurch, was immer du hörst. Lausche hindurch, mit deinem Herzenohr.“ heißt es in einem kontemplativen Lied, vertont von Helge Burggrabe.
Gebet
Du musst nichts tun im Gottesdienst. Was darin geschieht, ist auf viele Arten ein Beten. Du hörst Gebete, manche kannst du mitsprechen. Die Gebetsworte machen Räume auf. Nicht jeder dieser Räume ist zugänglich für genau deine Art, mit oder zu Gott zu reden. Ein Gebet kann Freiraum lassen für deine Art. Du kannst alles, was dich gerade ausmacht und dich bewegt mitbringen in den Gottesdienst und da sein lassen. In der Gegenwart Gottes bleibt nichts wie es ist. Für vieles kann ich in der Gemeinschaft der Gottesdienstfeiernden dankbar sein, für vieles bitten und die Bitten des Vaterunsers mitsprechen. Das Vaterunser ist das weltumspannende Beten, das mich hineinstellt in die Menschheitsfamilie.
Gesang
„Du, meine Seele singe…“! Mit Kirchenliedern komme ich bei der Wirklichkeit von Menschen an, die in vergangenen Zeiten Worte für ihre Beziehung zu Gott und zur Welt gefunden haben. Wenn ich durch die Worte hindurchsinge und mich selbst hineinlege, dann fängt meine Seele an zu singen. Ob Gesänge mich berühren, ist ganz unabhängig davon, ob das Lied im 16. oder im 21. Jahrhundert gedichtet und komponiert wurde. Mit Liedern kommst du in eine Gemeinschaft, die weit zurückreicht und nach dir weitergehen wird.
Musik
Musik schafft einen Raum, der allen Verzweckungen gegenüber Widerstand leistet. Im Klangraum kann ich mich mal geborgen fühlen, mal herausgefordert. Musik geht mich an, durch die Ohren, manchmal bis ins Herz. Sie kann wecken und trösten, meine Stimmung, die ich mitgebracht habe, in eine andere wandeln. Mit Musik im Ohr bekomme ich Lust, mich selbst auszudrücken. Wenn ich dann anfange in der Bank mitzugehen, wird mir bewusst, dass es in Afrika ganz normal war, ja es wurde mitgejubelt an besonders emotionalen Stellen. Ich erinnere mich daran, dass in unserem Kulturkreis die Bewegung durch Musik ins Innere verlegt wurde. Die Sehnsucht aber nach dem körperlichen Mitgehen, Swingen und Grooven ist mir geblieben. Gut, dass es auch Tanzgottesdienste gibt!
Bibellesungen
Im Herzstück der christlichen Spiritualität geht es früher oder später um die Begegnung mit Gottes Wort. Ich finde es interessant, dass ich das „Wort“ nie einfach haben kann, sondern es in einem Gefäß daher kommt. Da steht jemand und liest und gibt den Worten eine Stimme. Ich werde berührt oder nicht. Ein Bild strahlt in den Worten auf, das ich mitnehme. Die Stimmen machen etwas von Gott hörbar. Was ist dieses Etwas für mich, heute?
Predigt
Manche empfinden die Predigt als die Mitte und die Hauptsache des Gottesdienstes. Dabei steht die Verkündigung der Predigerin oder des Predigers im Gefüge aller anderen Gottesdienstelemente. Im Kontext der Lieder und Gebete, der Lesungen, des Mahls am Tisch des Herrn und sonstigen, auch ästhetischen Eindrücken des Gottesdienstes gibt eine, von der Kirche dazu beauftragte oder ordinierte, Person Zugänge zur Erschließung eines biblischen Textes. Meist ist dieser an dem Sonntag oder Festtag an der Reihe und wird in den anderen Gemeinden der Kirche ebenfalls ausgelegt. Bei der Entstehung der Predigt ist der Beistand des Heiligen Geistes gefragt. Zu welchen Erfahrungen mit Jesus Christus, mit dem Glauben an Gott führen die Zeichen, aus denen der Text besteht? Das Material der Rede bilden unter anderem Dinge, die durch Biografie und kulturellen Hintergrund für die Predigerin in Resonanz auf den Text Bedeutung bekommen. Die Rede sorgt dafür, dass etwas, das ich kenne, mal anders beleuchtet wird und mich neu berührt und herausfordert. Nicht zuletzt bist du selbst als Hörer oder Hörerin mitbeteiligt an der Entstehung der Predigt – in deinem Kopf wird sie editiert und du wirst das hören, was du erwartest oder auch aufgestört werden aus dem Üblichen durch neue Gedanken.
Abendmahl
Jesus feierte am Vorabend seines Todes am Kreuz ein Abschiedsmahl mit seinen Jüngern (und Jüngerinnen, hoffe ich). In Jerusalem, wo er sich aufhielt, wurde das Passahfest vorbereitet. Aus diesem jüdischen Fest stammen Symbole und Gebete, die den Hintergrund für die Deutung des letzten Abendmahls bilden. Gott befreit, damals wie heute. Israel wurde aus der Sklaverei herausgeholt und zur Beziehung mit Gott im Gottesdienst berufen und befreit. Jesus befreit seine Freundinnen und Freunde in dem Mahl, zu dem er als Gastgeber einlädt, zu einer Gemeinschaft, die es im Grunde noch gar nicht in der Realität gibt: alle sind frei, gleichberechtigt, brauchen einander und vergeben einander, was sie noch trennt, voneinander und von Gott. Im Mahl kommt der Himmel auf die Erde. Die Erfahrung, miteinander Brot und Wein zu teilen und „in, mit und unter“ (wie es Luther sagt) diesen Gaben eins zu werden, Leib Christi, kann mich transformieren. So wie Brot nicht nur Brot ist, sondern die Liebe Christi präsent macht und weitergibt, und Wein nicht nur Wein ist, sondern die Hingabe des Jesus von Nazareth in meinem Leben schmeckbar macht, so ist der Haufen Menschen vor dem Altar auch mehr als die Menschen üblicherweise sind. Statt mehr oder weniger annehmbare, nette oder nervige Gemeindeglieder bildet sich für Momente ein neuer Körper, der von der Liebe und Hingabe Christi erschaffen wird. Ob ich die Spuren davon immer spüre oder auch nur ein paar Augenblicke oder länger mitnehmen kann im Bewusstsein oder ob dies mich eher nur auf viszeraler Ebene berührt und unmerklich mein Miteinander mit den anderen verändert? Ich weiß es nicht und kann es nicht erklären. Auf alle Fälle ist miteinander essen und trinken auch sonst eine gute Idee und gehört in jede Gemeinde.
Fürbitten
Das Beten für andere ist eine gute Angewohnheit, die den Alltag durch Gedanken würzt, die mal nicht nur um mich selbst kreisen, sondern um das, was andere vielleicht brauchen. Da kann man sich natürlich auch täuschen und Mängel finden, die die anderen gar nicht haben. Daher heißt es, besonnen und wertschätzend beten. Im Gottesdienst tut dies die Liturgin oder der Liturg exemplarisch für alle. Manche haben die Gabe des Für-Andere-Betens. Diese spirituelle Praxis wirkt meist im Verborgenen und ist doch so tragend.
Segen
Nicht nur am Ende des Gottesdienstes, sondern an vielen Stellen ereignet sich Segen. „Friede sei mit euch“ oder der „Herr sei mit euch“ kann als Gruß gehört werden, aber auch als Segenswunsch. Die Spendeworte „Christi Leib für dich gegeben“ und „Christi Blut für dich vergossen“ empfinde ich als segnende Geste. Bevor der Gottesdienst endet, werden alle, die da waren gleichsam ausgesendet. Ich stelle mir vor, dass ein Mensch etwas aus dem Gottesdienst mitnimmt und in die Welt trägt, wenn man annimmt, dass die Welt außerhalb der Kirchenmauern beginnt 🙂 Der Segen stärkt mich für meinen Weg in der Realität, in der der Himmel noch nicht so richtig auf der Erde ist und es reichen muss, wenn die Erde auf die Erde kommt und nicht etwa die Hölle. Wisst ihr, was ich meine?